18. August 2022


DSC 4788Stille umgibt uns als wir nach dem Aufstieg zur Bergstation des Fluhexpress die erste Zwischenstation unserer Runde erreichen. Die kleine uns umgebende Welt besteht nur aus den sichtbaren Dingen im Umkreis von zwanzig Metern, der Rest ist im dichten Nebelgrau verschwunden. Die kalte Luft gibt mir das Gefühl von Herbst und ich genieße in dieser Abgeschiedenheit eine Tasse heißen Tee. Aiyana schreckt ab und an hoch und starrt scheinbar in die graue Wand hinein, dabei steckt sie dann gleich auch noch Banu an. Aber dort ist nichts was unser Alleinsein stören könnte und jedes mal legt sie sich anschließend wieder zu Boden um kurze Zeit später erneut hochzuschrecken. Die langsamen Schritte des Minutenzeigers an der Wand der Bergstation hinter mir sind die einzigen menschlichen Geräusche die wir vernehmen.


Auf dem anschließenden Weg entlang des Kojen-Schichtkamms unternehmen die Wölfchen gerne einen kleinen Abstecher und sind dann für kurze Zeit außer Sichtweite – kein Grund zur Nervosität, hier oben ist keiner den die zwei erschrecken könnten. Obwohl wir diesem Pfad schon oft gefolgt sind fällt heute die Orientierung deutlich schwerer. Die Bekannten Landmarken sind im Undurchdringlichen verschwunden und das Gefühl für Entfernungen geht vollkommen verloren. Selbst der Grat ist nur undeutlich zu erkennen und so müssen wir uns an den Schildern des Wanderweges entlang hangeln um nicht an jedem wilden Abzweig falsch abzubiegen. Die Fellnasen scheinen mehr ihren eigenen Sinnen zu folgen und so manches Mal folge ich ihnen blind. Und siehe da, die zwei lagen wieder einmal richtig.


DSC 4788Ohne Geschirr und Leine wäre dieser Anblick perfekt – zwei Wölfe auf ihrem Weg ins „Irgendwo“. Kurz darauf erkennen wir jedoch dass wir nicht alleine unterwegs sind als menschliche Stimmen unnatürlich laut im Tal unter uns bis an unsere Ohren dringen. Die lauten, an Lärm erinnernden Gespräche passen gerade so gar nicht in unsere Abgeschiedenheit und ich wundere mich darüber dass es immer wieder Menschen gibt denen die Ruhe so gar nicht zu behagen scheint. Zum Glück währt die Störung nicht allzu lange und unter uns wird es wieder still. So setzen wir weiter einen Schritt vor den anderen ohne genau zu sehen wo es eigentlich hin geht und überlassen uns ganz der Natur.


Als wir den nächsten Zaun am dafür vorgesehenen Gatter durchqueren machen ich mir zunächst nur Gedanken über die große Menge an Pferdemist der hier liegt. Dient das der Düngung des Hanges frage ich mich, habe ich doch schon anderen Ortes das Ausbringen von Mist mittels Traktor erlebt. Aber nein, wir befinden uns tatsächlich auf einer Pferdekoppel wie ich erkenne als kurz darauf, erst schemenhaft dann immer deutlicher, dunkle Gestalten auftauchen die so gar nicht an Rinder erinnern. Eine ganz eigentümliche Stimmung umgibt uns jetzt als wir uns, nicht getrennt durch einen Zaun, auf der Wiese oberhalb der Gruppe kurz niederlassen. Der Nebel scheint auf die Tiere eine beruhigende Wirkung zu haben denn außer dem einen oder anderen Blick schenken uns die Pferde keine weitere Aufmerksamkeit. Das habe ich hier oben schon deutlich anders erlebt.


DSC 4788Nächstes Gatter, nächste Gattung. Jetzt marschieren wir auch noch durch eine Gruppe Kühe und ich fürchte schon dass wir hier nicht so entspannt begrüßt werden. Aber weit gefehlt – auch diese Herde ist seltsam ruhig wie sie hier oben auf dem Boden liegt. Kein Meter trennt mich und die Wölfchen dabei von den Hornträger, diese schauen sich jedoch kaum nach uns um und scheinen mit ihrem Leben im Einklang zu sein. Die Witterung wirkt also nicht nur auf Menschen sehr beruhigend, vielleicht weil wir jetzt nicht mehr jedes noch so kleine Ereignis wahrnehmen und uns damit beschäftigen müssen. Es zählt nur noch das direkte Umfeld und selbst die Zeit scheint durch die optisch zähe Masse deutlich gebremst. Banu und Aiyana sind wohl ebenso verwundert wie ich selbst ob der Ruhe die von diesen Augenblicken ausgeht, wären sie doch ansonsten schon längst in Panik verfallen.


Und doch ist die Zivilisation nicht allzu weit entfernt. Unvermutet stehe ich vor diesen Schildern – Wanderweg aber Privatgrund – und schlimmer noch „Hundeverbot“. Was soll das denn? Es mutet seltsam an dass für mich hier kein Durchkommen mehr ist und ich somit gezwungen bin den Abhang direkt unter mir zu durchqueren um zu dem Weg, den ich zu früheren Zeiten noch in einem weiten Bogen erreichen konnte, zu gelangen. Mir schwant nichts Gutes wenn ich daran denke dass solche Schilder vermehrt Verwendung finden könnten, da dürfte das Wandern mit Hund bald zum Hindernislauf werden. Im Tal angekommen begeben wir uns auf den Rückweg und spazieren dabei durch das angrenzende Hochmoor. Da auf diesem Teilstück schon wieder deutlich mehr Menschen unterwegs sind und wir ein paar bewirtschaftete Alphütten passieren ist es mit der Entspannung leider schon wieder vorbei. Also zurück nach Hause und auf den nahenden Herbst warten und auf die Ruhe die mit ihm wieder einzieht.
Noch mehr Bilder dessen, was man im Nebel nicht sieht, gibt es hier.

 

27. Mai 2022


DSC 4645Alljährlich wird ab Mitte Mai die Viehwirtschaft im Allgäu wiederbelebt, zwar ohne großes Spektakel aber nicht ohne große Auswirkungen auf unsere Auswahl der jeweiligen Wanderziele. Noch schnell einen Tag vor dem großen Ansturm in den Bergen verbringen wir deshalb nicht ohne entsprechende Kommentare seitens der Huftiere. Als wir uns, vollkommen still der ersten wiederbesiedelten Alphütte nähern scheint noch alles in Ordnung zu sein. Ganz friedliche liegt die große, grüne Fläche vor uns als wir aus dem Wald heraustreten. Dann jedoch entdeckt uns der erste der grasenden Jungbullen und vorbei ist es mit der Ruhe. Er schlägt laut muhend Alarm und scheint damit die ganze Gruppe anzustecken. Mit einem Mal ist die komplette Herde unterwegs zum Weidezaun und begleitet uns, mit zunehmenden Glockengeläut, immer weiter auf unserem Weg. Was wohl in deren Köpfen vorgeht und in den Köpfen der Zweibeiner die hier ihre Arbeit verrichten? Ich beruhige Aiyana und Banu mit der Erklärung dass uns ein Zaun vor allzu dichter Annäherung schützt und werde gleich darauf eines Besseren belehrt als ich erkennen dass wir ein kurzes Teilstück durch die Weidefläche zurücklegen müssen. Auch einer der jungen Wilden erkennt diese Umstand und gibt schnell noch etwas Gas – „die erwische ich“ deute ich seine Gedanken.


Geschafft haben wir es dann aber doch ohne Blessuren, wenn auch nicht ohne einen tüchtigen Schrecken auf Seiten der Wölfchen. Sie ziehen etwas eingeschüchtert schnell den nächsten Hügel hinauf, wohl immer in der Hoffnung das Kühe faul sind und tatsächlich nach kurzer Zeit lassen wir die Aufregung zurück, darauf hoffend dass wir die anfängliche Ruhe diese herrlich sonnigen Morgens erneut finden. Wir sind wieder einmal auf uns bisher unbekannten Wegen unterwegs und erkunden ein weiteres Nebental der Nagelfluhkette. Der recht große Parkplatz an der Gunzesrieder Säge war schnell gefunden und die südlich gelegene Hörnerkette hatten wir ja schon öfters, von Süden her, bewandert. Jetzt der Aufstieg von der Nordseite her welcher uns die steilen Aufstiege auf der gegenüberliegenden Flanke erspart.


Als das Rangiswanger Horn erklommen ist haben wir uns eine ausgedehnte, frühe Mittagspause verdient. Die beiden Fellnasen legen sich zu einem kurzen Schläfchen in die Wiese während ich erst einmal die umliegende Landschaft bestaune. Noch herrscht Ruhe hier oben, ein Zustand der im Laufe des Tages sicherlich nicht so bleiben wird. Eine kleine Gruppe hat es sich unterhalb des Gipfelkreuzes bereits gemütlich gemacht, was die Fellnasen aber nicht weiter beunruhigt. Berge bedeuten für meine beiden Begleiterinnen immer die große Freiheit und mit ausreichend Platz zum Ausweichen können sie jetzt die Augen schließen und sich ganz der uns umgebenden Natur anvertrauen. Da die Erfahrung zeigt dass es jederzeit zu „Störungen“ kommen kann bleibt mir dieser Genuss versagt und so wandert mein Blick im gut einsehbaren Umkreis umher, immer darauf gefasst etwas zu entdecken was unsere Zufriedenheit stören könnte. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.


Die höher gelegenen Weideflächen wirken zu Beginn der Alpsaison wie leer gefegt, aber in ein bis zwei Wochen werden auch hier wieder das Milchvieh Einzug halten. Erst nach dem Ende deren Ende, ab Oktober, werden wir uns dann wieder in diese Gegend wagen denn allzu große Aufregung wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Als der Wanderverkehr an unserem bisher ruhige Plätzchen zunimmt ist das wie ein Startschuss für uns. Aiyana und Banu werden unruhiger und müssen sich, ob der neugierigen Blicke vermehrt etwas zurück ziehen und auch in mir steigt die Unruhe auf. Also packe ich unsere Mitbringsel zusammen und marschiere mit den beiden Wölfchen weiter auf unserem Rundweg. Es geht jetzt wieder hinab ins Tal und wir sind erneut alleine unterwegs. Nur hier und da begegnen uns Ansässige oder Waldarbeiter, das ändert sich jedoch schlagartig auf dem letzten Teilstück unseres Weges.


Die Beschilderung führt uns nun, mit dem Hinweis „Nur auf eigene Gefahr zu begehen“, über einen schmalen Tobelweg. Und als touristischer Hotspot ist hier deutlich mehr Trubel als noch vor Kurzem. Oberhalb des derzeit nicht zu nutzenden Seilsteges erhalten wir immer wieder den Hinweis auf dessen Unbenutzbarkeit, unterhalb werden wir mehrere Male nach dessen Zustand befragt. An einem Übergang über den Bergbach ist das untere Stahlseil gerissen und so müssen wir durch das eisige Wasser waten, ein Umstand der Aiyana und Banu sichtlich weniger Probleme bereitet als mir. Zum Glück verläuft eine Kiesbank in kleinem Bogen nicht allzu tief unter der Wasseroberfläche und so erscheint das Durchqueren des klaren, rauschenden Gewässers nicht sonderlich problematisch. Zur Not müssten die Schuhe runter. Was bei der heutigen Witterung eine willkommene Abkühlung wäre würde bei gestiegenem Wasserpegel hingegen das Ende dieses Weges und somit einen deutlichen Umweg bedeuten.Direkt neben dem „Steg“ stürzt der Bach ein paar Meter steil hinunter und wer da mitgerissen wird kommt sicherlich nicht ohne Blessuren davon. So aber bewältigen wir schadlos auch dieses Hindernis und stehen alsbald wieder auf dem Parkplatz an dem wir vor ein paar Stunden gestartet sind, froh darüber ein letztes Mal in diesem Frühjahr hierher gekommen zu sein.

Alle Bilder dieses Tages sind in der Galerie zu finden.


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01. Mai 2022
DSC 4591Die Sonne wird sich heute schwer tun die dunklen, tief hängenden Wolken zu durchdringen um uns etwas Wärme zu spenden. Dieser Gedanke trieb mich genau deshalb zu einer Runde über die Salmaaser Höhe denn – schlechtes Wetter lässt viele Wanderer Zuhause bleiben. Wir haben somit den Aufstieg auf der Nordseite des Höhenzuges ganz für uns alleine. Es gibt sie also doch noch die kleinen, verlassenen Plätze an denen die Menschenströme noch nicht angekommen sind. Keine Abgrenzung, kein Parkautomat, nur eine kleine Stahlkassette mit zwei dort hineingeschnittenen Schlitzen, in die ich mein Entgelt für die Aufenthaltsdauer hinein werfe, ist an einen Holzpfahl montiert . Wie viel so ein mehrstündige Aufenthalt kostet ist nicht angeschrieben aber ich will nicht kleinlich sein. Vielleicht sorgt das dafür dass dieser Ort der Ruhe noch etwas erhalten bleibt.


DSC 4588Die Stille dieses Morgens ist beeindruckend während Banu mal wieder hinter jedem Strauch etwas Aufregendes zu erkennen glaubt. Ich stelle mir dabei vor welche Geräusche, Gerüche und Bewegungen sie gerade bemerkt haben will – denn ich höre, rieche und sehe nichts. So verharrt sie hier auf diesem, wie ein Schmetterling geformten, Plateau und starrt zum nahen Waldrand. War da nicht ein Reh oder ein Hase zu erkennen? „Hallo, Banu, weiter gehts“ reiße ich sie aus ihrer Erstarrung und langsam folgt sie meinem gemächlichen Schritt weiter entlang des ruhig gelegenen, renaturierten Hochmoores. Als wir kurze Zeit später einen, dem Aussehen nach, alteingesessenen „Landwirt“ begegnen wähne ich mich in die Vergangenheit versetzt. Schlohweißer Bart, Filzhut mit Gamsbart sitzt er auf einer Bank etwas über uns und zur Begrüßung „lupfe“ ich meinen Hut. Er erhebt in aller Ruhe seine Hand zum Gruß während die Wölfchen ihn fasziniert fixieren.


DSC 4591Hin und wieder muss ich Banu etwas Zeit für den Aufstieg lassen, sie wird gemütlicher mit den Jahren und zeigt ihr früheres Verhalten, unbedingt vorweg laufen zu wollen, nur noch sehr selten. Aiyana macht mich auf diesen Umstand ab und an aufmerksam in dem sie unvermittelt stehen bliebt und sich nach ihrer Mutter umsieht. Dann heißt es warten bis die alte Dame wieder den Anschluss gefunden hat und in der Zwischenzeit bekommt die Junge ein Leckerchen. Diesen Umstand erkennend legt Banu dann doch ein kleines Stück an Tempo zu – etwas Feines sollte man sich schließlich nicht entgehen lassen. Die, teils schon wieder angebrachten, einfachen Weidezäune künden bereits von der beginnenden Alm Saison und mir fällt ein dass uns der Zugang zu den Allgäuer Hügeln und Bergen bald wieder verwehrt ist, zumindest was die Viehweiden angeht. Nicht was Betretungsverbote angeht, sondern hinsichtlich der teils übertriebenen „Aufmerksamkeit“ die den Vierbeinern seitens der Rinder zuteil wird.


DSC 4588Angekommen auf dem schönen Aussichtspunkt oberhalb des Alpsees legen wir dann eine erste frühe Pause ein. Frühstückszeit – und so packe ich die mitgebrachten Leckereien aus. Die zwei Fellnasen legen sich mit ihren Schätzen in die, vom nächtlichen Regen nasse Wiese und genießen sichtlich die Momente hier oben. Ich bestaune derweil den schnellen Zug der tiefhängenden Wolken und bin froh darüber dass mich die Natur nicht mit Regentropfen beschenkt. Auch wenn die weit unten im Tal liegende Straße ihre Geräusche bis auf unsere Höhe treibt ist es doch nur ein Rauschen im Hintergrund dass diese Momente der Zufriedenheit nicht trüben kann. Einfach mal komplett Abschalten zu können und die Unsicherheiten der Zeit dort unten zurück zulassen hat schon was.


DSC 4591Auf jeder deutlichen Erhebung des Höhenzuges steht ein Gipfelkreuz und hier findet sich auch ein Gipfelbuch in das ich kurz hinein stöbere. Schon so manche Wandergruppe erreichte dieses Jahr unseren Aufenthaltsort und schrieb ihre Gedanken in das kleine Buch. Ganz ähnliche Gedanken scheinen dabei die Menschen zu bewegen – Ruhe, Einkehr, Aussicht – ein kleines Paradies im Alltag in das sich die Menschen begeben um Ruhe zu finden. Da hier keine Bäume stehen erreicht uns jetzt aber auch der böige Wind und treibt mir die Kälte unter die Haut – es ist Zeit weiter zu gehen und durch die Bewegung den Körper wieder aufzuwärmen. Kurz hinter dem höchsten Punkt unserer Runde steigen wir dann wieder hinab zu den Menschen. Heute ist schließlich der 1. Mai und in jedem, noch so kleinen, Dorf wird der Maibaum, begleitet von Böllerschüssen und Glockengeläut der Kirchen, aufgestellt.


DSC 4588Kurz vor dem Erreichen unseres Ausgangspunktes passieren wird dann eine letzte Alphütte die sich noch im Winterschlaf befindet. Bald werden auch hier wieder Kühe die Weiden bevölkern und uns für die nächsten Monate in ungenutzte Gegenden verweisen. Wir werden dann sehnsüchtig auf den September warten um uns wieder so frei bewegen zu können. Und so packen wir unsere Sachen wieder ins Auto, die Wölfchen nehmen ihre Ruheplätze ein und mit einem tiefen Gefühl der Zufriedenheit über den heutigen Tag begeben wir uns auf den Heimweg zurück in die Umtriebigkeit unserer Zeit, immer wieder bereit für eine erneute kleine Flucht in die erholsame Einsamkeit der Natur.


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